New York Totgesagte leben länger; das gilt auch für den Einzelhandel in den USA: Eigentlich schienen „Big Box“-Ketten wie Walmart oder Target mit ihren Big Boxes auf der grünen Wiese dem Untergang geweiht. Experten waren sich einig, dass die Zukunft Amazon gehört.
Doch dann kam die Corona-Pandemie, und plötzlich waren die großen Verbrauchermärkte, die von Angelausrüstung über T-Shirts bis hin zu Butter alles verkaufen, die Gewinner der Krise.
Während Kaufhausketten wie Macy’s und JC Penney unter der Pandemie leiden, boomt das Geschäft bei jenen Einzelhändlern, bei denen Kunden neben ihren wöchentlichen Lebensmitteln auch ihre Fahrräder oder Socken kaufen können. Walmart, Target und auch der Anbieter Costco, bei dem Kunden jährliche Mitgliedsbeiträge zahlen, greifen plötzlich den scheinbar übermächtigen Online-Riesen Amazon an.
„Die Verbraucher versuchen, ihre Besuche im Laden zu reduzieren und hören auf, Gemüse in einem Geschäft und langlebige Produkte in einem anderen zu kaufen“, sagte Hunter Williams, Einzelhandelsexperte bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman. „Deshalb sind die großen Anbieter im Vorteil, bei denen man alles findet, was die Familie braucht.“ Das gilt sowohl offline als auch online.
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Wer in den vergangenen Jahren bereits in seinen E-Commerce investiert habe, habe am meisten von der Krise profitiert: „Je stärker die Anbieter vor der Krise im E-Commerce waren, desto mehr Marktanteile konnten sie sich in den vergangenen Monaten sichern.“ sagt Berater Williams.
Walmart überholt Ebay im Online-Geschäft
Tatsächlich haben die großen US-Ketten inzwischen ein funktionierendes E-Commerce-System aufgebaut. Viele Kunden hatten dies jedoch lange nicht erkannt. „Target und Walmart verfolgen Amazon seit mehreren Jahren. Sie haben Milliarden in ihren E-Commerce gesteckt, aus Angst, von Amazon verdrängt zu werden“, beobachtet Mark Cohen, Marketingprofessor an der Columbia University.
Doch als sie im Frühjahr aus Angst vor einer Coronavirus-Infektion plötzlich zu Hause blieben, wandten sich auch ältere und weniger internetaffine Amerikaner Online-Angeboten wie dem von Walmart zu.
Lieferengpässe bei Online-Bestellungen konnten Unternehmen mit dem sogenannten Curbside Pickup lösen, einer Kombination aus Online-Bestellung und Abholung vor dem Geschäft.
(Foto: AFP)
Mit Curbside Pickup, einer Kombination aus Online-Bestellung und Abholung vor dem Geschäft, konnten Unternehmen Lieferengpässe bei Online-Bestellungen lösen. „Das war gerade zu Beginn der Pandemie extrem hilfreich, als die Lieferfenster teilweise wochenlang voll waren“, sagt Experte Williams.
Mit diesem integrierten Konzept greifen traditionelle Anbieter auch Amazon an, das nur auf seine hochpreisige Bio-Supermarktkette Whole Foods und einige Läden mit eigener Marke zählen kann. „Die Konkurrenz hat zugenommen“, stimmt Williams zu.
Die Bilanz der großen Traditionsanbieter fällt bisher positiv aus: Target hat nach eigenen Angaben seit Corona zehn Millionen Neukunden online gewonnen und den Umsatz im Digitalbereich fast verdreifacht.
Laut dem Marktforschungsunternehmen EMarketer hatte Walmart eBay im E-Commerce in den USA bereits im vergangenen Jahr überholt und liegt nun nur noch hinter Amazon. 2019 betrug der Online-Umsatz bereits 19 Milliarden Dollar. Im zweiten Quartal verdoppelte Walmart seinen E-Commerce-Umsatz im Jahresvergleich.
Es passt auch zu dem Bild, das Walmart gemeinsam mit Microsoft für das US-Geschäft des bei Jugendlichen überaus beliebten Videodienstes Tiktok zeichnet. Diese steht zum Verkauf, weil die chinesische Herkunft des Mutterkonzerns Bytedance US-Präsident Donald Trump ein Dorn im Auge ist.
Walmart stellte diese Woche auch sein neues Mitgliedschaftsprogramm Walmart Plus vor, einen direkten Angriff auf das Prime-Angebot von Amazon. Für 98 US-Dollar pro Jahr können Walmart-Kunden schneller und kostenlos einkaufen. Sie bekommen auch billigeres Benzin.
Direkter Konkurrent von Amazon Prime
„Das Plus-Programm wird Walmart helfen, die durch Covid gewonnenen Neukunden zu halten und seine Beziehung zu langjährigen Kunden zu vertiefen“, sagte Charlie O’Shea, Analyst bei Moody’s. Er weist aber auch darauf hin, dass Amazon mit Musik- und Video-Streaming noch viel mehr zu bieten hat. „Es sollte nicht als direkter Konkurrent von Amazon Prime angesehen werden.“
Auch Handelsexperte Mark Cohen ist eher skeptisch: „Ob sie mit ihrem Mitgliedschaftsmodell nach dem Costco- oder Amazon-Prime-Modell wirklich Erfolg haben, bleibt abzuwarten“, sagt der Professor, der lange als Führungskraft im Handel tätig war. Stunde.
Cohen erinnert sich, dass Walmart vor einigen Jahren ein Abonnementmodell ausprobiert hat, das gescheitert ist. Trotz aller Erfolge in der Krise glaubt Cohen nicht, dass die großen Anbieter Amazon ernsthaft gefährden könnten. „Amazon läuft auf einem anderen Gleis“, ist er überzeugt.
Der Preis der Produkte wird nach Meinung des Beraters Williams mittelfristig der entscheidende Faktor sein. Das könnte Walmart helfen, aber auch Discountern wie Aldi und Lidl, die in den USA aktiv sind.
Plus: Das Angebot von Walmart für Tiktok zeigt, dass der Einzelhändler mehr Technik als sein Ruf ist
Quelle: www.handelsblatt.com