Karpfen scheinen das Hältern in einem Karpfensack gut zu überstehen, wenn man einige Grundregeln beherzigt. Um herauszufinden, welche Langzeiteffekte das Drillen, die Hälterung und das Aussetzen auf die Fische haben, bedarf es einer wissenschaftlichen Untersuchung. Eine längere Hälterung scheint bei Karpfen allerdings erhöhte Stressreaktionen und eine verminderte Schwimmaktivität nach dem Freilassen zu bewirken.
Eine gute Versorgung des gefangenen Fisches ist in der heutigen Karpfenangelei eine Selbstverständlichkeit. Cyprinus carpio wird nach dem Foto schonend zurückgesetzt, damit er weiteren Anglern Freude bereiten kann. Daran haben Safety-Rigs, feinmaschige Kescher und gut gepolsterte Abhakmatten einen großen Anteil. Ein Karpfen von 30 Pfund kann heute bis auf über 40 Pfund und mehr abwachsen. Das praktizierte Catch & Release der Karpfenangler scheint, wie die Fänge von kapitalen Exemplaren zeigen, hervorragend zu funktionieren.
Eine wissenschaftliche Untersuchung hat hingegen gezeigt, dass ein Zurücksetzen von gefangenen Hechten und Zandern ohne positive Auswirkungen bleibt. Gerade bei hohen Wassertemperaturen scheinen die Raubfische unter ihrem Fang so zu leiden, dass sie sogar sterben können. Der Stress beim Drill und das Handling an der freien Luft schwächt die Fische immens, so dass sie später Probleme bei ihrer Rückkehr in das Wasser haben. Schaut man auf ältere Untersuchungen, überleben Karpfen hingegen den Fang und die Behandlung an Land ohne größere Probleme. Im Gegensatz zu den Raubfischen verfügen sie über eine robustere Physiologie.
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Karpfen hältern: Zwischenlagerung ohne Stress?
Beim nächtlichen Karpfenfischen folgt nach dem Drill und Abhaken ein Aufenthalt in einem feinmaschigen, schwarzen Karpfensack aus Nylon. Der Karpfen wird darin gehältert, bis die Lichtbedingungen gut genug sind, damit ein schönes Erinnerungsfoto geschossen werden kann. Die Verweildauer des Fisches in dem Karpfensack kann bis zu mehreren Stunden dauern, gerade wenn er am Abend gefangen wird. Diese Behandlung lässt sich gut mit der Hälterung von Weißfischen in einem Setzkescher vergleichen.
Bild: van’t Hoog
Hier warten zwei Schwergewichte auf ihren Fototermin.
Doch es ist unklar, welche Effekte eine längere Hälterung auf das Verhalten der Fische bewirkt, nachdem sie in das Wasser zurückgesetzt worden sind. Deutsche und kanadische Wissenschaftler haben daher ausgiebig den Zusammenhang von Fang und Hälterung mit den Blutwerten, Stresshormonen und dem Schwimmverhalten der Karpfen untersucht. Zusätzlich wird der Einfluss der Wassertemperatur berücksichtigt: Von Hechten ist bekannt, dass sie bei hohen Wassertemperaturen mehr Stress erleiden und anfälliger sind.
Des Weiteren wurde mit Hilfe von Sendern zwei Monate lang das Verhalten der zurückgesetzten Karpfen beobachtet. Auch wenn ein Fisch beim Aussetzen zügig davonschwimmt, bleibt dennoch die Frage, wie er sich in der Folgezeit verhält.
Das Karpfensackprojekt fand an zwei Orten statt: In Deutschland wurde die Laboruntersuchung mit 120 kleinen Spiegelkarpfen und in Kanada die Felduntersuchung an einem See mit 40 in Freiheit lebenden ausgewachsenen Fischen durchgeführt. In der Laboruntersuchung können alle Bedingungen, wie etwa die Fischmenge, die Wassertemperatur und das Füttern von Hand gesteuert werden. Die Untersuchung von freilebenden Karpfen entspricht den täglichen Bedingungen in der heutigen Karpfenangelei: Die wilden Exemplare einer Spezies können anders reagieren als die aus einer Zucht stammenden Tiere. Durch den Vergleich der Ergebnisse von Feld- und Laboruntersuchung erzielten wir repräsentative Ergebnisse.

Bild: van’t Hoog
Im Labor werden die Effekte unter kontrollierten Bedingungen untersucht.
Karpfen hältern im Labor
Bei der Laboruntersuchung wurden kleine Spiegelkarpfen(zweijährig, im Durchschnitt 27 Zentimeter lang) auf zwei Becken mit Wassertemperaturen von 12 Grad und 22 Grad Celsius verteilt. Dies stimmt mit der durchschnittlichen Wassertemperatur im Frühjahr und Herbst sowie im Sommer überein. Die Spiegler wurden mit einer Fangsituation konfrontiert: In einem 200-Liter-Aquarium wurden einige von Hand drei Minuten lang gejagt, um die physische Anspannung eines Drills zu simulieren.
Danach wurden sie in einem Karpfensack in ein 900-Liter-Aquarium gesetzt. Der Verbleib dauerte eine halbe, drei und neun Stunden. Die verschiedenen Verweildauern kommen auch in der Praxis vor. Beispielsweise wird ein Karpfen eine halbe Stunde gehältert, um die Fotosession vorbereiten zu können. Aufenthalte von 1 bis 9 Stunden kommen vor, wenn der Fisch am Abend oder in der Nacht gefangen wird.
Die Blutwerte waren deutlich verändert
Einige Karpfen wurden nicht gejagt und in einen Karpfensack gesetzt. Sie dienten der Kontrolle: Ihre Blutbeschaffenheit bildet die Basiswerte und somit das Vergleichsmaterial zum Einfluss von Anspannung und Stress. Direkt nach ihrem Aufenthalt im Karpfensack wurde den Fischen aus einer Ader am Rücken eine Blutprobe entnommen. In dieser Probe wurden Werte wie Glukose, Laktat, Zuckergehalt, Kalium und Chlorid untersucht. Für jede Verweildauer im Karpfensack wurden zehn Karpfen verwendet, um gesicherte Durchschnittswerte zu erhalten.

Bild: van’t Hoog
Bei jedem Fisch werden nach dem Aufenthalt im Karpfensack Blutproben entnommen.
Die Messungen nach der Fangsimulation zeigten eine deutliche Veränderung der Blutwerte. Der Laktatwert schoss direkt von 1.3 auf 7.0, also ein deutliches Anzeichen physiologischer Anspannung. Der gleiche Effekt tritt bei Sportlern kurz nach einer kurzen und anstrengenden Belastung auf, um in den nachfolgenden Stunden auf das ursprüngliche Niveau zurückzukehren. Auch der Cortisolwert stieg von 66 direkt nach der Fangsimulation auf 225 nach einem halbstündigen Aufenthalt im Karpfensack. Nach einer längeren Verweildauer im Karpfensack pendelte sich der Wert bei 109 ein und war somit markant höher, als bei den „unbehandelten“ Karpfen.
Der Blutzuckerspiegel steigt in kurzer Zeit
Sobald Sportler sich anstrengen, steigt das Cortisolniveau, welches Zucker für die Belastung freisetzt. Morgens beim Aufstehen haben wir einen niedrigen Cortisolwert. Der Körper braucht etwas Zeit, um aktiv zu werden. Am Cortisolspiegel der Karpfen können wir erkennen, dass die Schwimmsimulation eine akute Stressreaktion für die Karpfen ist: Cortisol setzt Zucker zur Verbrennung aus der Leber zur Belastung frei. Der Effekt des Cortisolspiegels auf die Blutzuckerwerte ist daher deutlich messbar. Der Blutzuckerspiegel verdoppelt sich in kurzer Zeit und bleibt auch nach neun Stunden im Karpfensack auf diesem hohen Wert.

Bild: van’t Hoog
Ein paar Stunden im Sack, um ein paar schöne Fotos machen zu können, sind ok. Aber je kürzer, desto besser!
Temperatur beim Karpfen hältern ohne Belang
Zusammenfassend kann man sagen, dass das Fangen und Hältern im Karpfensack verschiedene Effekte hat: Der Anstieg der Laktat-, Cortisol- und Blutzuckerwerte resultiert aus der Schwimmbelastung. In den Stunden danach fallen die Werte wieder. Ein Zeichen, dass die Fische im Karpfensack wieder „zu Atem“ kommen. Unterschiede in der Wassertemperatur (12 und 22 Grad) haben offenbar keinen Einfluss auf die Stressreaktionen und die Blutwerte.

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Der Sack muss in ausreichend tiefem Wasser positioniert werden.
Die Untersuchung beinhaltet auch die Beobachtung der Wasserqualität im Karpfensack. Es gab mehrere Unterschiede im umgebenden Wasser, wie zum Beispiel bei der Sauerstoffkonzentration. Die Wasserversorgung durch die Maschen des Karpfensackes gewährleistet, dass kein Sauerstoffmangel entsteht und anfallende Abfallprodukte wie etwa Ammoniak schnell abgebaut werden. Dies belegen auch die Anspannungswerte der Karpfen während ihres Aufenthaltes im Karpfensack.
Die Wissenschaftler weisen darauf hin, dass es von großem Einfluss ist, in welcher Umgebung ein Karpfensack eingesetzt wird. Gerade bei hohen Temperaturen und nährstoffreichem Wasser kann in flachen Uferbereichen ein Sauerstoffmangel entstehen. Obwohl Karpfen sich sehr gut mit sauerstoffarmen Bedingungen und Änderungen des Sauerstoffgehaltes arrangieren, kann dies einen negativen Effekt auf ihr Befinden haben.
Karpfen hältern beim Angeln: Der Feldversuch
Die Untersuchung der freilebenden Karpfen brachte überraschende Ergebnisse. Ein Karpfenangler ging dazu an 18 Tagen im September im Dow ́s Lake, Ontario, in Kanada auf die Pirsch. Er benutzte einen 6er Haken mit Maiskörnern am Haar in Kombination mit einer Festbleimontage. Der Drill dauerte bei keinem der gehakten Fische länger als drei Minuten. Dauerte ein Drill mehr als drei Minuten, wurde der Karpfen wieder freigelassen, weil die Resultate nicht vergleichbar waren. Nach dem Abhaken wurden die Fische direkt in den Karpfensack verfrachtet, ins Wasser gepackt und danach erst einmal in Ruhe gelassen. Der Aufenthalt dauert jeweils drei, sechs und zwölf Stunden.
Danach wurden Blutproben entnommen. Bei einer Gruppe von Karpfen wurde direkt nach dem Fang Blut abgenommen, bevor man sie direkt wieder in die Freiheit entließ. Sie dienten als Vergleichsmaterial. Diese Behandlungsgruppe umfasste zehn Karpfen. Insgesamt wurden vierzig Fische untersucht. Bei einer durchschnittlichen Größe von 70 Zentimetern waren sie deutlich größer als die Laborfische. Um zu untersuchen, wie sich die Fische nach einem Fang und einem Aufenthalt im Karpfensack verhalten, wurden vor dem Zurücksetzen kleine, leichte Sender an der Rückenflosse installiert. Mit deren Hilfe kann man den Fischen mit einer Antenne folgen und die Schwimmbewegungen in den Tagen nach ihrer Freilassung beobachten. Die Ergebnisse der Felduntersuchung bestätigen in vielerlei Hinsicht die Laborergebnisse. Auch bei den gedrillten Fischen stieg der Laktatwert im Blut.

Bild: van’t Hoog
Hältern umgangen: Fotos in der Dämmerung oder sogar nachts können auch sehr schön sein.
Der Cortisolspiegel stieg deutlich an
Es handelte sich um eine Reaktion auf die Anstrengung. Erst ein paar Stunden später fiel der Wert wieder ab, was als Zeichen der Erholung zu interpretieren ist. Der Blutzuckergehalt verdoppelte sich und blieb auf diesem hohen Niveau. Aber es gab auch deutliche Unterschiede: Im Gegensatz zu den kleinen Zuchtkarpfen zeigen sich bei den großen, „freien“ Karpfen erhöhte Cortisolspiegel beim Hältern. Direkt nach dem Fang wurde ein Wert von 33 gemessen, der nach drei Stunden Hälterung auf 120 und bei neunstündiger Hälterung auf 188 anstieg.
Ein weiteres Zeichen für Stress ist die Anwesenheit von Enzymen (LDH und AST) im Blut, deren Werte sich verdoppelt und nach neun Stunden sogar verdreifacht hatten. Sowohl LDH als auch AST werden nach einer Belastung in den Muskelzellen messbar. Auch bei Menschen, die plötzlich mit dem Sport übertreiben, tritt dieses Phänomen auf. Weil dieses Phänomen bei den Karpfen auch nach Stunden noch auftritt, scheint dieses keine Folgeerscheinung des Drills, sondern Effekt der Hälterung zu sein. Die Leber produziert diese Stresshormone in kleinen Einheiten.
Freilebende Karpfen reagieren anders auf die Hälterung als ihre kleinen Artgenossen aus der Zucht. Die Unterschiede können u. a. aus der verschiedenen Herkunft resultieren. Zuchtkarpfen werden über Generationen hinweg auf eine Stressresistenz hin selektiert, weil sie dadurch besser wachsen und seltener erkranken. Das Aufwachsen in einer Fischzucht bringt es zudem mit sich, dass sie regelmäßig mit Netzen gefangen werden. Es ist da- her gut vorstellbar, dass die Karpfen durch ihre Erfahrung mit Netzen weniger gestresst auf die Hälterung im Sack reagieren.
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Keine erhöhte Sterblichkeit beim Karpfen hältern
Zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf das Verhalten der freigelassenen Karpfen in den Stunden und Tagen nach ihrem Zurücksetzen. Nach einem längeren Aufenthalt von neun Stunden zeigten die Fische in der ersten Stunde nach dem Zurücksetzen eine deutlich verminderte Schwimmaktivität. Im Gegensatz zu den dreistündig gehälterten Exemplaren verhielten sie sich länger ruhig. Nach ein paar Stunden war dieses Phänomen beim Karpfen hältern nicht mehr zu beobachten. Übrigens erfreuten sich alle gefangenen Karpfen auch zwei Monate nach der Untersuchung allerbester Gesundheit.
Das Hältern im Karpfensack führt daher nicht zu einer erhöhten Sterblichkeit. Ein Ergebnis, das von den Beobachtungen bei der Hälterung von Weißfischen in Setzkeschern bestätigt wird. Aus einem längeren Verbleib resultieren deutliche Stresseffekte, Gewebeschädigungen und Veränderungen des Schwimmmverhaltens. Die Heilung tritt kurz nach dem Freilassen ein. Die Untersuchung kann man von zwei Seiten betrachten: Auf das Fortbestehen des Fischbestandes hat die Hälterung keine negativen Auswirkungen, da die Fische sich schnell erholen. Aus Sicht des Tierschutzes verhält sich der Sachverhalt anders, und man sollte die Effekte auf die gefangenen Fische minimal halten. Ein schonendes und schnelles Versorgen und Fotografieren muss daher selbstverständlich sein. Hier liegt es an jedem Karpfenangler, seinen Wunsch nach einem schönen Foto und die Verweildauer des Fisches im Karpfensack gegeneinander abzuwägen.
Verhaltenskodex beim Karpfen hälternVon der holländischen Karpfenstudiengruppe stammt dieser vorbildliche Kodex zum verantwortungsvollen Umgang mit einem Karpfensack.
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Quelle: www.blinker.de