Bewertung: 3,5 / 5
Erzieher Lucas (Mads Mikkelsen) hat kürzlich eine schwierige Scheidung durchgemacht und ein neues Leben begonnen. Er hat neue Freunde, einen neuen Job und verliebt sich in Nadja (Alexandra Rapaport). Als eines Tages die kleine Klara (Annika Wedderkopp), die Tochter von Lucas‘ Freund Theo (Thomas Bo Larsen), behauptet, von Lucas missbraucht worden zu sein, gerät ihr Leben völlig aus den Fugen.
Wer ein so heikles Thema wie mutmaßlichen Kindesmissbrauch als Prämisse für einen Film nimmt, wird sich sicher mit nichts anderem anfreunden, als die Täter zu verteufeln. Die Gesellschaft ist zu emotional aufgeladen, wenn es um das Wohlergehen und Leiden junger Menschen geht. Und das ist manchmal auch gut so, schließlich möchte man die Schatten dieser Welt überdecken und mit einem Licht erhellen und eine Umgebung schaffen, die nur von schönen Erinnerungen erhellt wird, besonders für Kinder. Regisseur Thomas Vinterberg hat mit Die Jagd kein leichtes Thema angepackt, einerseits weil die Erlebnisse der Opfer schwer verdaulich sind, andererseits weil es sehr emotional ist und es für die meisten Menschen nur eins gibt. Wahrheit hinter diesen Tatsachen. Aber der Film leidet darunter, dass er in der Storyentwicklung Wahrheit und Fiktion auf erschreckend offensichtliche Weise vermischt. Denn eigentlich ist von vornherein klar, wer das Opfer und wer der eigentliche Täter ist. Gleichzeitig lässt der Film wenig Interpretationsspielraum, weil die Enthüllungen in der Geschichte so verwoben sind, dass es sich anfühlt, als würde jemand versuchen, eine Geschichte in die Länge zu ziehen. Denn mit Hintergrundwissen wäre die Wahl der Hauptfiguren schnell veraltet.
Vinterberg erzählt eine Geschichte, die sich recht schnell entfaltet, gleichzeitig aber versucht, mit vielen Genres gleichzeitig zu spielen. Und genau das schafft er, indem er den Film von Drama zu Thriller und dann umgekehrt wechselt. Die Stimmung ändert sich wie bei einem Comedian, der einen endlos peinlichen Witz erzählt. Gleichzeitig löst der Film beim Zuschauer eine gewisse Ruhe aus, denn die ganze Tragödie ist auch mit einer Schwere aufgeladen, die die Figuren immer allein in ihrem eigenen Kosmos erscheinen lässt. Es gibt also keinen Dialog und so greift der Film eines der größten Probleme der Menschheit auf. So bleibt ein Elefant die ganze Zeit im Raum, danach müssen die Charaktere ein Gespräch finden, aber aufgrund ihrer eigenen Verwirrung, gepaart mit Angst, Missverständnissen, Wut und Traurigkeit, können sie nicht so richtig darauf reagieren Fragen. Fragen, um die Welt zu erschaffen. Der Einzelne konkurriert hier mit der Mehrheit und dem Staat und ist nicht zuletzt durch die in der Gesellschaft kursierenden Stereotype an die Meinung anderer gebunden. Besonders deutlich wird dies, wenn eine Geschichte nicht mehr die Möglichkeit zur Versöhnung innerhalb einer kleinen Gemeinschaft bietet.
Die Welt ist eine Stadt und dies wird Die Jagd nicht nur ein Zauber, sondern ein tödlicher Niedergang, der Hunderte von verbrannten Leichen auf dem Weg zurücklässt, den sie nicht selbst gewählt haben. Das Vertrauen in die Menschen, die Ihnen am nächsten stehen, wird getestet, wenn Sie vertrauen, und es basiert auf dem sozialen Stigma, dass ein Kind nur gut sein kann. Aber das Gute in Kindern muss nicht immer da sein, weshalb Vinterberg seinen Zuschauern in seinem durchdachten Drehbuch auch diese Brille vom Kopf nimmt, um zu zeigen, dass ambivalentes Verhalten auch in jungen Jahren existieren kann. Natürlich ist es schwierig, Kindern etwas so Hinterlistiges vorzuwerfen, dass sie es vielleicht nicht einmal verstehen, aber andererseits ist es das Verhalten von Erwachsenen, das von blindem Vertrauen spricht, wonach die Wirkung der Worte von Jugendlichen nicht ist unbedeutend. Es ist eine Tragödie im wahrsten Sinne des Wortes, weil ein Mensch wegen einer Lüge leidet, ein Kind nicht wirklich versteht, was passiert, und alle Erwachsenen um ihn herum nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Darin ist wahrscheinlich eine Menge Wahrheit, wenn es um diese Themen geht. Auf jeden Fall müssen sich Pädagogen immer wieder eingestehen, wie wenig sie wirklich wissen und dass die Arbeit mit bestimmten Menschen oft reines Bauchgefühl bleibt. Und Kindergartenpädagogen folgen einer ähnlichen Logik. Obwohl dies hier etwas übertrieben dargestellt wird.
Mittlerweile ist es vor allem Mads Mikkelsen, der dem Gesamtwerk seinen eigenen Stempel aufdrückt. Mit Brille und zerzausten Haaren sieht er aus wie eine bürgerliche Symbolik, die eigentlich keine Kraft hat. Im Film selbst weist ihn ein Freund darauf hin, sein Lucas ist also vor allem jemand, der einiges aushält. Ein guter Mensch, der sehr intellektuell und ruhig durch die Welt streift und sich lieber versteckt, als sich zu wehren. Diese introvertierte Ader, die wohl nicht nur auf der schieren Selbstbehauptung beruht, macht Lucas so nahbar und zeigt einmal mehr, wie vielseitig der an amerikanischen Blockbustern ausgebrannte Mads Mikkelsen ist. Gleichzeitig zeigt der Charakter am Ende aber auch eine wahre Größe, die die meisten wohl nicht hätten erreichen können, und in diesem Sinne geht er auch an der Realität vorbei.
Interessanter ist jedoch, wie eine Lüge verstärkt werden kann und wo Menschen das Gewebe der Behauptung auch mit ihren eigenen Erwartungen und Stereotypen untermauern. Man sagt, Kinder lügen nicht und Klara hat auch nie gelogen. Ein Gespräch zwischen einigen vermeintlichen Erziehern und dem Mädchen Klara wird zum Druck für ein kleines Mädchen, das längst die Kontrolle verloren hat und sie nun Menschen übergibt, die mit ihrem Einfallsreichtum reine Ansprüche wahren. Tatsächlich ist die Wahrnehmung unglaublich komplex, und die Tatsache, dass Menschen dazu neigen, die Mehrheitsmeinung zu akzeptieren, wird gerade hier auch durch einen starken Dialog und bloße Vermutungen unterstützt. Der Prozess hier wirkt etwas konstruiert, spiegelt aber vor allem die Unvollkommenheit von Menschen jeden Alters wider.
Das Zusammenspiel von Thriller und Drama macht Die Jagd ziemlich gutaussehend sowie sein großartiger Hauptdarsteller. Wenn es jedoch darum geht, die Realität zu zeichnen, verliert die Arbeit durch Geschichtenkonstruktionen an Glaubwürdigkeit. Der Film gleicht jedoch viel mehr einer Gesellschaftsstudie, die die einzelnen Wesen der Menschheit auf die Probe stellt und hinterfragt.
Quelle: www.moviejones.de