Zielfernrohre aus Wetzlar für Panzer, Panzerfäuste aus Burbach für die Ukraine: In der Region Lahn-Dill sind mehrere Rüstungsunternehmen aktiv. Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat Folgen.
Der Überfall Russlands auf die Ukraine wird deutliche Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung der Branche zur Folge haben.« So steht es im vor drei Wochen veröffentlichten Konzernbericht des viertgrößten deutschen Rüstungsunternehmens, der Hensoldt-Gruppe. Eine Firma, die im Lahn-Dill-Kreis bekannt ist.
Namensgeber des Konzerns ist Moritz Hensoldt. Er gründete im 19. Jahrhundert in Wetzlar ein Unternehmen zur Herstellung von Fernrohren. Mittlerweile gibt es in Wetzlar noch eine Hensoldt-Tochtergesellschaft (der Hauptsitz liegt mittlerweile in Taufkirchen bei München). Sie und weitere heimische Firmen sind im Rüstungsgeschäft tätig. Und Waffenschmieden sind wie lange nicht gefragt. Beim Panzerfausthersteller Dynamit Nobel Defense (DND) im Burbacher Ortsteil Würgendorf ging sogar direkt eine Bestellung der Ukraine ein.
5100 Panzerfäuste für die Ukraine
Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Ende Februar, drei Tage nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, im Bundestag von einer Zeitenwende sprach und ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr bekannt gab, schrieb Hensoldt-Geschäftsführer Thomas Müller kurz darauf in seinem Bericht: »Dies wird die Rahmenbedingungen für die Verteidigungs- und Sicherheitsbranche maßgeblich beeinflussen.« Weitere Chancen sieht er europaweit in den Erhöhungen der Verteidigungsbudgets der Länder. Die Aktionäre hatten da schon längst reagiert. Die Börsenkurse des größten deutschen Rüstungskonzerns, Rheinmetall, sowie der Hensoldt-Gruppe stiegen bereits.
Nun, innerhalb von drei Monaten, hat sich der Wert der Hensoldt-Aktie mehr als erhöht, er kletterte von 11,98 Euro am 22. Februar auf 25,50 Euro am 22. April. Ein Viertel der Konzernaktien hält die Bundesrepublik Deutschland indirekt über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).
Hensoldt Optronics in Wetzlar ist eine Konzerntochter. Hier arbeiten 90 der weltweit 6400 Mitarbeiter. Auf dem Gelände der Zeiss AG in Wetzlar stellen sie vor allem Zielfernrohre und Nachtsichtgeräte her, Visiere und Wärmebildkameras. »Die Produkte genießen bei Behörden und tatsächlichen Einheiten in aller Welt einen kontrollierten Ruf«, heißt es auf der Internet-Seite. Das Produktportfolio dient der Beobachtung und Zielerfassung und unterstützt sowohl Scharfschützen als auch Infanteristen sowie gepanzerte Fahrzeuge.
Vor vier Jahren hatte die Linke-Fraktion im hessischen Landtag einen »Rüstungsatlas Hessen« veröffentlicht. Darin waren die hessischen Bundeswehr-Standorte und Rüstungsunternehmen gelistet, auch »Hensoldt Optronics«. Laut dem Atlas werden in Wetzlar gefertigte Zielfernrohre auf dem Panzer »Leopard 2« montiert, Periskope beispielsweise auf dem Schützenpanzer »Puma«, Rotpunktvisiere auf Sturmgewehren und Maschinenpistolen. Laut Hensoldt umfasst die »Optronik«-Sparte außerdem U-Boot-Periskope sowie Bildstabilisatoren für Hubschrauber, Flugzeuge und Drohnen.
Ein weiteres großes heimisches Rüstungsunternehmen ist der Panzerfausthersteller Dynamit Nobel Defence (DND) in Würgendorf im Kreis Siegen-Wittgenstein, direkt hinter der Kreisgrenze. Ein Teil des Werksgeländes liegt sogar noch auf Haigerer Gemarkung. Ende März meldet die Deutsche Presse-Agentur, dass die ukrainische Regierung direkt in Würgendorf bestellt habe – weil die deutsche Bundesregierung bis dahin angeblich nur zögerlich geliefert habe. Für 25 Millionen Euro habe die Ukraine 5100 Panzerabwehrwaffen vom Typ RGW90 HH »Matador« gekauft.
DND wirbt: Tauglich für eine Kampfentfernung von 20 bis 500 Metern, geeignet für gepanzerte Ziele, genauso gut kann man damit aber auch eine Dreifachziegelmauer durchschlagen. Sie wurden von zahlreichen europäischen sowie internationalen Streitkräften eingesetzt. Etwa die Hälfte der bereits bestellten Waffen ist laut dpa bis Ende März in die Ukraine geschickt worden, der Rest solle, nach Fertigstellung, bis Ende Mai in wöchentlichen Tranchen folgen.
Die erste Fabrik zur Sprengstoffherstellung wurde 1903 in Würgendorf gebaut, 1928 übernommen von der Dynamit AG, später in Dynamit Nobel AG umbenannt. In den 1980er Jahren begann die Produktion von Panzerfäusten. Zur Produktpalette gehören außerdem gepanzerter Schutz für Fahrzeuge, Brandschutz sowie seit Kurzem digitale Funkgeräte, die laut Zeitschrift »Europäische Sicherheit und Technik« Netzwerke mit mehr als 1000 Teilnehmern bilden können.
DND hat kürzlich den Geschäftsbericht für 2020 vorgelegt. Kennzahlen: 94 Millionen Euro Umsatz (gegenüber 158 Millionen Euro im Jahr davor; der Rückgang wurde mit dem beendeten Abarbeiten von Großaufträgen begründet), 31 Millionen Euro Gewinn, 324 Mitarbeiter. Prognose: »Die Auftragslage bleibt weiterhin positiv.« Denn: »Zu den Wenigen Branchen, die nur geringfügig von der pandemiebedingten Rezession getroffen wurden, zählt die wehrtechnische Industrie. Ursächlich ist hierzu weiterhin der Modernisierungsbedarf vieler Streitkräfte.« Risikobewertung: Die Gesellschaft sei von Großaufträgen der öffentlichen Hand abhängig, drei bis vier Aufträge machten 75 Prozent des Jahresumsatzes aus. Und für Wehrtechnik bestehe aufgrund des hohen Exportanteils (DND selbst rechnete mit 40 Prozent fürs vorige Jahr) das grundsätzliche politische Risiko hinsichtlich der Erteilung von Exportgenehmigungen.
Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben Hauptlieferant der deutschen Streitkräfte für Panzerfäuste, weltweit bezögen mehr als 20 Armeen solcher Waffen aus Würgendorf. Anfang dieses Jahres hatte DND bereits einen 19-Millionen-Euro-Vertrag mit der belgischen Armee in der Tasche, es geht ebenfalls um die Lieferung von Panzerfäusten.
Spezialeinheiten ausgestattet
Seit 2004 gehört DND zum staatlichen Rüstungskonzern Rafael. Die Muttergesellschaft ist unter anderem Hersteller von Marschflugkörpern und hat den »Iron Dome« entwickelt, ein System, das Raketenangriffe der Hamas auf Israel abwehrt. Rafael beschäftigt weltweit rund 8000 Mitarbeiter.
Im »Rüstungsatlas Hessen« sind weitere Firmen aus dem Lahn-Dill-Kreis gelistet, mit Minox in Wetzlar ein weiteres auf Optik spezialisiertes Unternehmen. Minox wurde 1945 in Wetzlar gegründet und vor allem durch seine Kleinbildkamera im Spionageeinsatz bekannt. Das Unternehmen stellte Ferngläser und Nachtsichtgeräte her sowie Zielfernrohre für Scharfschützengewehre. Damit seien beispielsweise GSG9 und weitere Spezialeinheiten in den USA, Schweden, Italien, Frankreich, Dänemark und der Schweiz ausgestattet worden.
Seit 2013 gehört Minox zur Blaser-Gruppe in Isny im Allgäu. Eine Unternehmensgruppe mit zuletzt 124 Millionen Euro Umsatz und rund 800 Mitarbeitern. Sie vertreibt Jagd- und Sportwaffen sowie Jagdausrüstung. 2020 verlegte auch Minox seinen Sitz nach Isny, die Firma hatte zuletzt laut Geschäftsbericht noch zehn Angestellte.
Im Lahn-Dill-Kreis bleibt die Blaser-Tochter »Blaser Group Wetzlar«, sie entwickelt nach Unternehmensangaben Zielfernrohre, Ferngläser, Nachtsichtgeräte, Wildkameras, Spektive und Rotpunktvisiere für Schusswaffen – »für Jagd, Sport und Behörden«.
Die Firma Clößner Maschinenbau und NC-Technik im Ehringshausener Ortsteil Daubhausen produziert ebenfalls Wehrtechnik. Der »Rüstungsatlas« nennt als Produkte: Gehäuse für die Zieleinrichtung von Panzerhaubitzen und Maschinenpistolen sowie Komponenten für Transport- und Kampfhubschrauber. In dem Unternehmen sind rund 80 Mitarbeiter beschäftigt.
Quelle: www.giessener-allgemeine.de